
Obwohl im Falle eines mystischen Werkes die Persönlichkeit und die Biografie des Verfassers immer wieder durch die Seiten und durch die Ratschläge durchscheinen, die bei einem anderen Autor gar nicht gegeben worden wären, so wollen wir an dieser Stelle kurz den äußeren Rahmen des Lebens von Pater Augustin Poulain SJ (1836-1919) angeben. Die genaueren Angaben zu seiner Person können hier nachgelesen werden.[1] Pater Poulain SJ war in seinem langen Leben ein Zeitgenosse von Dom Guéranger, Adolphe Tanqueray sowie von vielen französischen Heiligen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zwar fällt es uns bei dem fast völlig atheistischen Frankreich von heute schwer zu glauben, dass dieses Land im Jahre 1910 eine katholische Großmacht war. Und dies nicht nur an der Anzahl der Katholiken gemessen, 1910 tatsächlich die größte der Welt war,[2] sondern auch gemessen an dem Einfluss der französischen Spiritualität, insbesondere der systematisch dargelegten Aszetik. Es ist bekannt, dass Französisch die Sprache der Spiritualität ist. Das berühmte Dictionnaire de spiritualité. Ascétique et mystique. Doctrine et histoire, welches mehr 60.000 Seiten, in 17 Bänden (45 Teilbänden) mit mehr als 100 Millionen Zeichen umfasst und das von 1932-1995 von den Jesuiten herausgegeben wurde,[3] ist für jeden, der sich mit diesem Fachgebiet befasst, eine Pflichtlektüre. Sicherlich gibt es auch dort einen Paradigmenwechsel zwischen den vorkonziliaren und den nachkonziliaren Beiträgen, welcher wohl vom objektiven Gottbezug in Richtung subjektives Wohlbefinden geht. Zwar müsste diese These durch Zitate belegt werden, da aber ein Paradigmenwechsel in allen katholischen Lexika nach dem Konzil stattgefunden hat, so kann es bei einem Werk, welche von der progressiven Gesellschaft Jesu herausgegeben wurde, auch nicht anders sein. Nichtsdestotrotz sind die vorkonziliaren Beiträge im Dictionnaire de spiritualité sehr empfehlenswert und beweisen den hohen Grad der französischen spirituellen Theologie.
Sicherlich hat schon jemand mehr als einmal den Vergleich zwischen dem deutschen und dem französischen Zugang zur Aszetik und Mystik gezogen und darüber kompetent geschrieben. Zwar schreibt der deutsche Übersetzer von Die Fülle der Gnaden „an gediegenen Arbeiten über Mystik haben wir Deutsche keinen Überfluss“[4], doch andere Völker und Sprachgruppen haben diesbezüglich noch weniger Überfluss als die Deutschen. Die Deutschen haben doch theologisch und systematisch denkende Mystiker, besonders der rheinischen Schule (Meister Eckhardt, Johannes Tauler, Heinrich Seuse, Jan van Ruysbroek), vorweisen können. Dies sind zwar mystische Schriften und keine wissenschaftliche Abhandlungen über die Mystik. Ein theologisch geschulter Mystiker ist immer noch besser als ein ungeschulter. Da leider heutzutage zur Einstellungsvoraussetzungen für einen akademischen Theologen Agnostizismus oder Atheismus gehört, so werden die Mystiker, hauptsächlich von mystisch-feministisch, aber auch rationalistisch-atheistisch angehauchten, TheologInnen behandelt und als eine Literaturgattung betrachtet, mit welcher sie sich gerne messen, weil sie aus ihrer Sicht einerseits belletristisch andererseits für sie absolut unverständlich ist. Der Schreiber dieser Zeilen war schon bei mehr als einer Tagung, bei dem Agnostiker oder Atheisten (im Nachgespräch persönlich vom Referenten bestätigt) über mystische Literatur dozierten, indem sie auf das für sie absolut Unverständliche irgendwelche neue heuristischen Rahmen legten. Dies war jedes Mal ein kühnes und absurdes Unterfangen, welches durchaus amüsant gewesen wäre, wenn es nicht so traurig gewesen ist. Es war buchstäblich wie mit Blinden über Farben zu reden. Dass ist nicht immer in der Theologie so gewesen ist, beweisen ältere Bücher und Traktate, die oft auf Französisch verfasst wurden.
[1] Siehe http://de.scribd.com/doc/62515275/Bio-of-Pere-Augustin-Poulain#scribd
[2] Siehe die Tabelle für 1910: http://www.pewforum.org/2013/02/13/the-global-catholic-population/
[3] http://fr.wikipedia.org/wiki/Dictionnaire_de_spiritualit%C3%A9 http://www.dictionnairedespiritualite.com/
[4] Er tut es auf Seite XII.
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