
Gnostizismus als Traditionsstrang der falschen Mystik in Frankreich (1)
Wo aber viel Licht ist, da ist auch viel Schatten, wie zu Recht Goethe sagte. Zu Recht gibt es auch den Begriff des genius locii also des „Lokaldämons“, falls diese Übersetzung zulässig ist, denn jeder Mentalität entspringt auch eine bestimmte Spiritualität, die auch ihre Schattenseiten hat. Obwohl die kommende Behauptung sicherlich durch viele Forschungsprojekte quellenmäßig untermauert werden müsste, so ist die Schattenseite der deutschen Spiritualität sicherlich der Subjektivismus und Rationalismus, der slawischen der die chiliastische Apokalyptik, der französischen aber der Gnostizismus. Sicherlich stellt der Gnostizismus die Abwege jeglicher christlichen Spiritualität dar, was wir zurzeit am Beispiel der Esoterik und des New Age erleben.
Dennoch gibt es nicht in jedem Land tatsächlich tradierte, gnostische Traditionen, wie es in Frankreich tatsächlich seit der Zeit des Heiligen Irenäus von Lyon (gest. 220) der Fall ist. Dieser apostolische Vater, verfasste ein Traktat in fünf Bänden Gegen die Häresien (Adversus haereses), dessen ausführlicher Titel „Überführung (élenchos) und Zurückweisung (anatrophē) der fälschlich so genannten Gnosis“ trägt.[5] Dieser Titel suggeriert, dass der Begriff „Gnosis“ nicht immer in der Kirche negativ besetzt war. Dies ist tatsächlich auch der Fall, aber ausschließlich für die ganz frühe Zeit, welche mit dem Anfang des dritten Jahrhunderts endet. Als Irenäus sein Traktat um das Jahr 180 schrieb,[6] dachte man noch im Christentum, dass man den Begriff der „Gnosis“ noch positiv aufgreifen und umdeuten kann, die es mit vielen anderen Begriffen, beispielsweise der Mysteriensprache, geschehen ist. Und daher gehört Irenäus (gest. 220), neben Clemens von Alexandrien (gest. 215) zu den zwei orthodoxen Schriftstellern, welche der falschen Gnosis die wahre Gnosis der Kirche entgegenstellen. Clemens von Alexandrien stellt in seinem siebten Buch der Stromata den „wahren Gnostiker“ als das Ideal des Christen dar,[7] wobei der clementinische Gnostiker natürlich nichts mit den heterodoxen Gnostikern gemeinsam hat, da er als das Remedium gegen ihre Irrlehren präsentiert wird. Dennoch erlaubte die Entwicklung der gnostischen Sekten innerhalb des Christentums keine neutrale Betrachtung dieses Terminus, so dass, von Irenäus und Clemens abgesehen, bei wirklich allen zeitgenössischen oder späteren kirchlichen Schriftstellern bzw. Kirchenvätern der Begriff „Gnosis“ immer negativ besetzt wurde. Interessanterweise werden die Berichte, wie sie von Clemens oder Irenäus über die Gnostiker verfasst wurden, nicht einmal von denjenigen Autoren angezweifelt, die mit der Gnosis sympathisieren oder sich mit ihr gar identifizieren. Dies kann man beispielsweise in der Aufsatz- und Dokumentensammlung von Wolfgang Schultz erkennen.[8] Irenäus gibt an, dass die gnostischen Sekten, die er bekämpft, sich auf dem Gebiet von Gallien befinden, vermutlich auf dem Gebiet seiner Diözese, die damals wahrscheinlich größere Territorien des heutigen Frankreichs umfasste. Interessanterweise beschreibt Irenäus Ansichten, Praktiken und Rituale, welche später bei den Katharern und Albingensern vom 11. bis 14. Jahrhundert gerade in Südfrankreich aufleben. Und eben diese gnostischen Irrgläubigen zu bekehren, gründete der heilige Dominikus Anfang des 13. Jahrhunderts seinen Orden. Die Annahme ist durchaus zulässig, dass sich auf diesem Gebiet hartnäckig durch die vielen Jahrhunderte hindurch eine gnostische Überlieferung gehalten hat, denn die Ansichten der osteuropäischen, gnostischen Bogumilen oder Bogomolen variieren doch ein wenig. Bezeichnenderweise scheinen gerade in Frankreich auch im 20. Jahrhundert recht viele gnostische Sekten oder Kulte, wie beispielsweise die Sonnentempler, ihr Unwesen zu treiben und auf diese Art und Weise das heterodoxe Vermächtnis des Templerordens fortzuführen.[9]
[5] Drobner, Hubertus R., Lehrbuch der Patrologie, Herder: Basel 1994, 96.
[6] Ebd.
[7] Sehr schön in Walter Völker in Der wahre Gnostiker nach Clemens von Alexandrien, Berlin 1952 herausgearbeitet. Eher etwas für Fachleute.
[8] Schultz, Wolfgang, Dokumente der Gnosis. Mit Essays von Georges Batailler und Henri-Charles Puech, MünchenÖ Matthes & Seitz Verlag 2000 [Erstausgabe: Jena 1910]
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Sonnentempler
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