
Pater Poulain SJ – ein unauffälliges Leben (1)
Augustin Poulain wurde im Jahre 1863 in Cherbourg geboren. Er begann seine Schulbildung im Jesuitenkolleg in Brugellete, wo er mit einem schwachen Ergebnis Latein lernte, mit einem besseren Philosophie, was ihm erlaubte ein mittleres baccalauréat en lettres zu erhalten, was in etwa mit Abitur mit Leistungsfächern Philosophie und Latein vergleichbar ist.[10] Die Wiedergabe der französischen akademischen Grade des 19. Jahrhunderts in den Begriffen der gegenwärtigen, deutschen Bildung ist recht schwierig. Denn das französische Baccalauréat ist bis heute etwas mehr als das deutsche Abitur, da es zugleich der erste akademische Grad ist, was in Deutschland zur Zeit dem Bachelor entspricht. Das Baccalauréat ermöglicht in Frankreich wird das Abitur in Deutschland, einerseits ein Hochschulstudium, andererseits steht in Frankreich den zentralgesteuerten und gefürchteten Prüfungen des Baccalauréats ein Universitätsprofessor vor, was in Deutschland beim Abitur nicht der Fall ist. Wie in Deutschland die Abiturnote, so bestimmt auch die Note des Baccalauréats die Möglichkeit an bestimmten Hochschulen zu studieren. Sehr begehrt und angesehen ist bei dieser Wahl immer eine École centrale. In der Zeit von Pater Poulain, welche in die Zeit nach der napoleonischen Schulreform fiel, trat das Baccalauréat als
- baccalauréat en lettres, h. er wurde in den Fächern Latein, Französisch und der Philosophie im Alter von 16 Jahren abgelegt und befähigte bei der entsprechenden Endnote zum Studium dieser Fächer;
- baccalauréat en sciences, welches in Naturwissenschaften abgelegt wurde und dieses Studium ermöglichte
- sowie das baccalauréat en droit, wo man in den Rechtswissenschaften geprüft wurde und anschließend Jura studieren konnte.
Normalerweise strebte man (a), (b) oder (c) an. Das recht mittelmäßige baccalauréat en lettres erlaubte Poulain 1854 in das Jesuitenkolleg École Sainte-Geneviève einzutreten, wo er ein Jahr lang Mathematik lernte und diesmal erlangte er ein so gutes baccalauréat en sciences, was ihn dazu befähigte ein Studium der Mathematik an der École centrale anzufangen, was wohl der Möglichkeit eines Mathematikstudiums an einer technischen Universität entspricht. Er entschloss sich aber im Jahre 1858 den Jesuiten beizutreten, wo er nach dem Novitiat ein Jahr lang Mathematik, wohl im Selbststudium, studierte. In den Jahren 1861-1870 studierte er außerdem Theologie und unterrichtete gleichzeitig als Professor an der École Sainte-Geneviève Mathematik. Die Einordnung eines französischen Professors an einem Jesuitenkolleg im späten 19. Jahrhundert in das heutige Bildungssystem ist noch schwieriger als im Falle des Baccalauréats. Es ist sicherlich mehr als ein deutscher Gymnasiallehrer und weniger als ein Universitätsprofessor. Am ehesten lässt sich dieser Rang wohl mit einem Hochschullehrer an einer Fachhochschule vergleichen. Sicherlich war Pater Poulain SJ ein begabter Mathematiker und ein intelligenter Mensch, da seine zwei baccalauréats und die Qualifizierung für die École centrale sicherlich überdurchschnittlich sind. Auch eine Lehrtätigkeit an einem Jesuitenkolleg dieser Zeit spricht für seine didaktische und mathematische Begabung, da die Lehranstalten der Jesuiten ein so hohes Bildungsniveau aufwiesen, da sie nicht einmal von der französischen Revolution und den nachfolgenden antikatholischen Regierungen liquidiert worden sind, da man solch gute Bildungsstätten für die Jugend beibehalten wollte. Sicherlich war aber Pater Poulain SJ mathematisch gesehen weder ein Pascal noch ein Leibniz oder Russel.
[10] Siehe http://fr.wikipedia.org/wiki/Baccalaur%C3%A9at_en_France
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