
Pater Poulain SJ – ein unauffälliges Leben (2)
Die weitere Laufbahn innerhalb des Jesuitenordens verlief für Pater Poulain SJ recht ruhig und ohne nennenswerte Karrieresprünge. Er war der stellvertretende Leiter eines Jesuiteninternats, Professor der Mathematik, Bibliothekar, Seelsorger der Pariser Artisten und vieles mehr. Liest man in seinem Werk ein wenig zwischen den Zeilen, so wird ein gewisser Überdruss wegen der fehlenden äußeren Karriere durchaus sichtbar, ebenso wie manch eine depressive Stimmung, Vereinsamung und fehlende Möglichkeit sich mit jemanden über geistliche Themen auszutauschen. Und dies schreibt ein Jesuit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in der goldenen Vergangenheit manch eines Traditionalisten. Es war also auch vor dem Konzil nicht alles so golden. Da Pater Poulain SJ durch nichts äußerlich auffiel, so nahm man seine Publikationen zum Thema Mystik mit Erstaunen zur Kenntnis, da man bei ihm diese Kenntnisse und Erlebnisse niemals vermutet hätte. Pater Poulain veröffentlichte anfangs zwar hauptsächlich geometrische Traktate: Traité de géométrie élémentaire. 1re partie, Cours du baccalauréat-ès-lettres (1885), L‘unification des heures et les fuseaux horaires (1890), Principes de la nouvelle géométrie du triangle (1892), Recherches sur la nouvelle géométrie du triangle (1895), aber erst seine Mystik des Johannes vom Kreuz (1893) und sein Hauptwerk Des Grâces d’oraison – Die Fülle der Gnaden (1901) brachten ihm aufgrund der hohen Kompetenzen in diesem Bereich viel Lob und Anerkennung.
Das letztgenannte Werk, an welchem er, wie er selbst angibt, 40 Jahre lang gearbeitet hatte, wurde zwar nie vollendet, aber in den ersten 20 Jahren seit der Erstausgabe gab es neun Auflage, sowie zahlreiche Übersetzungen in andere Sprachen, darunter auch in die deutsche. Das Werk ist, wie bereits erwähnt, auch heute auf Englisch unter dem Titel The Graces of Interior Prayer: A treatise on Mystical Theology erhältlich.[11] Auszüge daraus sind auch als ein Buch mit dem Titel Revelations and Visions: Discerning the True and the Certain from the False or the Doubtful erschienen.[12] Das erstgenannte Buch, ein einfacher Reprint einer früheren Ausgabe, ist sicherlich keine bibliophile Augenweide, aber besser als gar nichts. Der Schreiber dieser Zeilen hat schon weite Stücke der englischsprachigen Ausgabe von The Graces of Interior Prayer gelesen und ist davon begeistert. Für jemanden der einigermaßen gut Englisch lesen kann, ist das englischsprachige Buch zu empfehlen, da die deutsche Fassung aufgrund der recht altertümlichen Sprache vielen gewöhnungsbedürftig erscheinen mag. Wir publizieren das Buch hier dennoch auf Deutsch und wer es nicht abwarten kann, kann zu der englischen Ausgabe greifen. Pater Poulain hat sein erstes Werk über die Mystik erst im Alter von 57 Jahren veröffentlicht, sein Hauptwerk hingegen erst im Alter von 65 Jahren. An diesem Hauptwerk hat er ferner 18 Jahre lang bis zu seinem Lebensende geschrieben, da er im Alter von 83 Jahren verstorben ist. So trägt Die Fülle der Gnaden die Früchte eines langen Ordens- und Gebetslebens, von welchem wir auch heute noch zehren können. Wie man sehen wird, scheint Pater Poulain SJ auch ein sehr guter Beichtvater gewesen zu sein, da er wohl gut die Seelenleiden diagnostizieren und praktische Hilfen geben konnte.
[11] http://www.amazon.de/Graces-Interior-Prayer-Treatise-Mystical/dp/1492963232/ref=sr_1_4?ie=UTF8&qid=1431076266&sr=8-4&keywords=Augustin+Poulain
[12] http://www.amazon.de/Revelations-Visions-Discerning-Certain-Doubtful/dp/0818907932/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1431076368&sr=8-1&keywords=Augustin+Poulain
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