Tradition und Glauben

Bäumer, Geschichte des Breviers. (8) Einleitung: § 2. Theologische Grundlage (3)

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Das Breviergebet ist eine Amtshandlung, welche von denjenigen verrichtet werden soll, die dazu befähigt wurden. Die vorzügliche und ausführliche Moraltheologie von Bischof Müller fasst diese traditionelle Lehre folgendermaßen auf:

Horae canonicae dicuntur collectio prectum et lectionum quae juxta Ecclesiae praescriptum recitandae sunt a personis ad id deputatis.

Die kanonischen Horen nennt man eine Sammlung von Gebeten und Lesungen, welche nach der Vorschrift der Kirche von Personen rezitiert werden sollen, die dazu bestimmt wurden (deputatis).[1]

Fassen wir zuerst das deputatis ins Auge. Die erste Bedeutung von de-puto ist „abschneiden, beschneiden“, die zweite „genau abschätzen, bestimmen, hingeben, als Schuld zuschreiben“.[2] Ja, der Deputierte klingt da sicherlich mit. Es ist also eine Auftragsarbeit von Menschen, die dazu durch eine Absonderung bestimmt wurden und welche es zu tun als ihre Schuldigkeit betrachten. Aber diese Menschen müssen es rezitieren, d.h. laut aufsagen. Die Moraltheologien schreiben eine pronuntiatio vocalis vor, also eine vokale – klangvolle – Aussprache.

Gibt es auch eine andere? Ja, das Nuscheln.

Bischof Müller schreibt:

Vocalis, id es, singula distincta voce recitari debent; non autem necesse est, ut recitans semetipsum audiat.[3]

Vokal [klangvoll, tönend, klingend], bedeutet, dass die einzelnen [Worte] mit einer deutlichen Stimme rezitiert werden sollen, es ist jedoch nicht notwendig, dass derjenige, der rezitiert sich selbst hört.

Man soll also laut so beten, als ob man vorlesen würde. Es stellt sich natürlich die Frage, wie es überhaupt möglich ist so zu rezitieren, dass man sich selbst nicht hört. Dies ist bei Schwerhörigen der Fall, wie es treffend Thomas Mann in den Buddenbrooks beschreibt:

Da Lea Gerhardt taub war, war sie es gewöhnlich, die an den Jerusalemsabenden vorlas; auch fanden die Damen, daß sie schön und ergreifend läse. Sie nahm aus ihrem Beutel ein uraltes Buch, welches lächerlich und unverhältnismäßig viel höher als breit war und vorn, in Kupfer gestochen, das übermenschlich pausbäckige Bildnis ihres Ahnherrn enthielt, nahm es in beide Hände und las, damit sie selbst sich ein wenig hören konnte, mit fürchterlicher Stimme, die klang, wie wenn der Wind sich im Ofenrohre verfängt: “Will Satan mich verschlingen …”

Wie man sieht, hat die katholische Moraltheologie auch an diesen Fall gedacht, ohne die Buddenbrooks zu kennen. Als DSDZ (der Schreiber dieser Zeilen) anfing das Alte Brevier zu beten, wollte er es auf die exakt vorgeschriebene Weise tun und fing tatsächlich an die Texte zu rezitieren, was ihm selbst komisch vorkam, da er dies bei seinen Novus Ordo Brevieren niemals tat. Ja, es gehört ein wenig Überwindung dazu, auch wenn Sie allein leben, Sie müssen Anfangs gut aufpassen auch alles richtig auszusprechen, denn sonst müssen Sie es wiederholen und es ist auch anstrengend, da diese Rezitation im Falle der Matutin 40 Minuten bis über eine Stunde dauert. Aber es wirkt wirklich mehr als etwas nur mit den Augen Gebetetes oder Gedachtes. Sie haben auch das Gefühl etwas „geschafft“ im Sinne von „richtig verrichtet“ zu haben, denn es ist wirklich ein Stück Arbeit.

Ferner wird beim Rezitieren des Breviers eine doppelte Aufmerksamkeit (attentio) verlangt: eine äußere (externa) und eine innere (interna). Die äußere bedeutet lediglich das, dass man das zu Lesen hat, was im Buche steht, ohne etwas dazu zu erfinden, was wohl immer bei den Weniger-Lateinern vorgekommen sein soll. Eine innere Aufmerksamkeit soll gerichtet sein:

  1. auf die Worte selbst, damit sie dem Ritus gemäß (rite) vorgebracht werden,
  2. auf den Wortsinn,
  3. auf Gott allein.[4]

Wenn Sie einige Zeitlang dermaßen intensiv etwas in einer toten Fremdsprache rezitierend lesen, dann lernen Sie wirklich schnell sich gut zu konzentrieren, sodass Sie die nächsten Gebetsstufen, von denen Pater Poulain SJ schreibt, beschreiten können: die Meditation, das affektive Gebet, das Gebet der Einfachheit und die Kontemplation. Aber ohne das mündliche Gebet, sprich das rezitierende Gebet, ist es für fast alle unmöglich gleich zur Meditation zu kommen. Lesen Sie unsere Pater Poulain SJ-Beiträge, welche sehr ausführlich davon handeln. Father Ripperger sagt in seinen Vorträgen über das Gebet, dass zum Meditieren im Sinne von Betrachten „ein paar IQ-Punkte mehr“ gehören. Dies mag sein, weil das Betrachten den präfrontalen Cortex betätigt, welche für Gedankenvorgänge als solche zuständig sind. Die intelligenteren Menschen betätigen diese Gehirnareale einfach mehr, weil sie mehr abstrakt denken und je mehr sie abstrakt denken, desto mehr wird der präfrontale Cortex trainiert. Wenn Sie beispielsweise die göttliche Eigenschaft der Unendlichkeit betrachten, dann denken Sie sehr abstrakt, weil kein geschaffenes Ding wirklich unendlich ist. Es ist höchstens „ein Endliches, das ohne Ende vermehrbar ist, in Wirklichkeit aber eine Grenze hat“,[5] sodass Theologie zwischen dem infinitum actu – dem wirklich Unendlichen, d.h. Gott und dem infinitum potentia oder dem indefinitum, z.B. einer immer wieder unterteilbaren Strecke, unterscheidet.[6] Wie Sie sehen bei dieser Betrachtung wird das abstrakte Denken wirklich bemüht. Dies bedeutet wieder per Umkehrschluss, was alle geistlichen Autoren auch schreiben, dass manchen Menschen höhere Gebetsstufen verschlossen sind, präfrontaler Cortex hin oder her, nicht aber das mündliche Gebet. Deswegen hat die Kirche diejenigen verurteilt, welche das mündliche Gebet als nutzlos ablehnten. So lesen wir in einer Verurteilung des Quietismus, in der Instruktion des Hl. Offiziums aus dem Jahr 1682:

  1. Keinem also, der dem meditativen bzw. kontemplativen Gebet zugetan ist, soll es erlaubt sein, das mündliche Gebet, das von Christus, dem Herrn, eingesetzt, von den Aposteln beobachtet und von der katholischen Kirche in unaufhörlicher Folge bei allen Gottesdiensten immer angewandt wurde, entweder zu verachten oder als nutzlos und im Vergleich mit dem meditativen oder kontemplativen nichtig herabzusetzen; vielmehr sollen es, da der Prophet lehrt, der Herr sei in Hymnen und Gesängen zu loben, alle zusammen mit dem geistigen und kontemplativen (Gebet) loben und empfehlen. (DH 2181)

Bei der Verurteilung der 68 Sätze des Miguel de Molinos im Dekret des Hl. Offiziums vom 28. Aug. und in der

Konstitution »Caelestis Pastor« vom 20. Nov. 1687 lesen wir:

[Es ist nicht so, dass]

  1. Zu behaupten, daß man sich beim Beten durch die Rede oder durch Vorstellungen helfen müsse, wenn Gott die Seele nicht anspricht, zeugt von Unwissenheit. Gott spricht niemals, sein Sprechen ist Wirken, und er wirkt immer in der Seele, wenn diese ihn nicht durch ihre Reden, Vorstellungen und Handlungen hindert.

Warum wurden diese Sätze verurteilt? Weil sie erstens theologisch nicht stimmen, da Beten hauptsächlich Reden ist, wovon das lateinische orare – „reden, beten“, zeugt. Ferner haben alle Gestalten des Alten Testaments redend gebetet, Christus selbst ja auch. So kann ja etwas nicht falsch sein, was von Heiligen und dem Heiland selbst praktiziert wurde. Zweitens aufgrund der IQ-Punkte oder anderen fehlenden Voraussetzungen wird es immer Menschen geben, welche wirklich „niemals nie“ über die Stufe des mündlichen Gebetes hinausgehen werden.  Würde man ihnen dieses Gebet auch noch verbieten, dann hätten sie wirklich nichts. Aber genau das ist nach 1962 eingetreten.

Nicht „auswendig Gelerntes aufsagen“, meinte der damals moderne Pfarrer. „Mit dem Herzen beten“.

Und dadurch ist manch ein Hasen spickendes Mütterchen vom Beten ganz abgekommen, denn so wie bisher, durfte sie nicht beten und neu beten konnte sie nicht. Dann kam irgendwann Pater Anselm Grün OSB (o weh!) mit seinem katholischen Esoteriktrip, da seine Groupies, pardon, „Schülerinnen“, aus angeblich aufgeklärten, ehemaligen Hasenspickenden Mütterchen bestehen, welche den Hasen schon längst aufgegeben haben und jetzt im katholischen Buddhismus zerfließen, leider mit dem kirchlichen Segen. Also laut beten, deutlich beten, rezitierend beten! Amen.

 

 

[1] Müller, Ernst, Theologia Moralis, Wien 18947, Bd. II, 538.

[2]  Georges, Lateinisch-deutsches Handwörterbuch: 2. deputo. Georges: Lateinisch-Deutsch / Deutsch-Lateinisch, S. 17369 (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, S. 2069) http://www.digitale-bibliothek.de/band69.htm ]

[3] Müller, ebd, 545; vgl. S. Alphons Liguori, Theol. moral., n. 170

[4] Müller, Bd. II, 546.

[5] Diekamp-Jüssen, Katholische Dogmatik, Wil 2012, 153.

[6] Ebd.

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