
Das deutsche, bildungssprachliche Verb „abreichern“ stellt eine mögliche Übersetzung des Englischen „to strip“ dar, welches auch „abschneiden, ausziehen, entblößen, entkleiden, abstreifen, abdecken, abtragen etc.“ bedeutet. Da der Schreiber dieser Zeilen zum ersten Mal den Satz „in the Lent time the liturgy is stripped of“ las, so blieb ihm dieser Satz auf Englisch hängen und er muss immer wieder rückübersetzt werden. „Die Liturgie verliert in der Fastenzeit ihre Pracht“, so lautet in etwa dieser Satz auf Deutsch. Sie wird entkleidet, sie verarmt, sie wird einfacher, aber im Sinne von schwieriger und mehr, nicht im Sinne von leichter und weniger, wie wir es seit dem Konzil kennen. Den Höhepunkt dieses Abstreifens bildet der leere Altar an Karfreitag, der im Alten Ritus aller drei Altardecken beraubt wird. Es bleibt nur die nackte Leere und ein offener Tabernakel. Aber dieses Abstreifen geht sukzessiv vor und fängt tatsächlich mit den Breviergebeten ab Aschermittwoch an. Wir besprechen hier das Tridentinische Brevier, bei welchem diese Änderungen am deutlichsten zu Tage treten.
Simplex und Duplex Feste
Das Tridentinische Brevier zeigt den Rang der Feste unter anderem durch die Länge der Antiphonen an. Ohne an dieser Stelle gleich die ganze tridentinische Rubrizistik darzulegen, was wir irgendwann tun werden, sei gesagt, dass der niedrigste Rang ein simplex Fest ist, d.h. er beginnt mit einem Teil der Antiphon. So lautet beispielsweise die erste Matutin am Montag der ersten Fastenwoche[1] :
Ant. Dóminus defensor (Der Herr ist der Beschützer)
Was den Anfang der ganzen Antiphon „Dóminus defensor * vitæ meæ (Der Herr ist der Beschützer meines Lebens)“ darstellt. Die Eigenheit des Tridentinischen Breviers macht auch der Umstand aus, dass unter einer einzigen Antiphon mehrere Psalmen gebetet werden und nicht wie seit 1960 jeder Psalm über eine eigene, ganze Antiphon verfügt. So reicht am Montag der ersten Fastenwoche eine Antiphon für zwei Psalmen aus, wobei vor dem ersten Psalm nur ihr Anfang (Dominus defensor) und am Ende des zweiten Psalms die ganze Antiphon (Dóminus defensor * vitæ meæ) gebetet werden. Wie bereits erwähnt wurden erst durch die „Reformen“ von 1960 die halben Antiphonen eliminiert und seitdem es gibt bei den Festarten jedes Ranges ausschließlich ganze Antiphonen. Wann gibt es denn im Tridentinischen Brevier ganze Antiphonen? An sog. Duplex Festen, d.h. bei größeren Festen und Heiligenfesten, sodass man sich schon an der Anfangsantiphon orientieren kann, welches Fest man begeht.
Wozu ist es gut? Um in einem anderen Zeitrhythmus als die Welt zu leben, denn der liturgische Kalender ist nicht der weltliche Kalender. Man lebt tatsächlich in einer anderen Zeit, welche vom Rhythmus von Simplex- und Duplex-Festen vorgegeben wird. So war es im Großen und Ganzen vor dem Konzil. Aber tatsächlich erlebt man diese Staffelung der Liturgie im Tridentinischen Brevier am stärksten, da sich dort die Simplex-Feste von den Duplex-Festen am meisten unterscheiden. Wenn man sich vorstellt, dass alles gesungen wurde und wohl an Simplex-Festen es andere Modi oder Melodien als an den Duplex-Festen gab, so lebte man die Liturgie wirklich und atmete sie ein, wie es eindrucksvoll Dom Prosper Gueranger beschreibt. Wer bestimmte denn, wer oder was ein Duplex-Fest ist? Der Papst durch die Liturgische Kongregation. So bekamen die bedeutenden Heiligen ein Duplex-Fest, die ein wenig vergessenen Märtyrer nur ein Simplex-Fest, bei welchem zu den gewöhnlichen Simplex-Psalmen man den betreffenden Heiligen in der Laudes kommemorierte, d.h. nach dem Tagesgebet anführte. Man schaue es bei divinum officium für Trident 1910 bei Februar nach,[2] so hat bspw. Der hl. Simeon Faustinus am 18.02 ein Simplex-Fest und der hl. Titus am 6.02. ein Duplex-Fest. In der gesamten Fastenzeit, welche ja immer in die zweite Hälfte von Februar und in den März fällt, gibt es verhältnismäßig wenige Duplex-Feste, während beispielsweise in August das eine Duplex-Fest auf das Andere folgt.[3] Die Unterschiede zwischen Simplex und Duplex werden bei der Matutin am deutlichsten.
Die Matutin der Duplex-Feste
Bei den Duplex-Festen werden nur 9 Psalmen gebetet und zwar:
- Am Officium der Apostel (apostoli) betet man die folgenden Psalmen:
- Ps 18
- Ps 33
- Ps 44
- Ps 46
- Ps 60
- Ps 63
- Ps 74
- Ps 96
- Ps 98
Am Officium der Märtyrer (martyres) betet man die Psalmen:
- Ps 1
- Ps 2
- Ps 3
- Ps 15
- Ps 16
- Ps 23
- Ps 32
- Ps 33
- Ps 45
Beim Officium der Bekenner (confessores) betet man hingegen die Psalmen:
- Ps 1
- Ps 2
- Ps 3
- Ps 4
- Ps 5
- Ps 6
- Ps 14
- Ps 20
- Ps 23
Beim Officium der Duplex-Feste der Jungfrauen (virgines) oder Witwen (viduae) betet man die Psalmen:
- Ps 8
- Ps 18
- Ps 23
- Ps 44
- Ps 45
- Ps 47
- Ps 95
- Ps 96
- Ps 97
Welches Officium wird denn am häufigsten gebetet? Das der Bekenner, d.h. festa confessorum. Es ist durchaus möglich und es kommt auch recht oft vor, dass man mehrere Tage hintereinander ausschließlich die neun Psalmen der Bekenner-Feste betet. Dies hängt natürlich vom Kalender der jeweiligen Brevier-Ausgabe ab. So gab es im Jahre 1763 viel weniger Heiligenfeste als z. B. im Jahre 1909. Wird es nicht langweilig? Nein, weil man durch die Wiederholung derselben Psalmen immer tiefer in das Geheimnis der Märtyrer, der Jungfrauen oder der Bekenner geht. Irgendwie scheint gerade diese Psalmenauswahl den Heiligen Stand widerzuspiegeln, denn, wie man sehen kann, haben die Jungfrauen ganz andere Psalmen als z.B. die Bekenner. Wir werden uns diesen Themen noch sicherlich widmen. Es bleibt aber zu sagen, dass bei den Duplex-Festen tatsächlich kürzer gebetet wird als bei den Simplex-Festen, welcher außerhalb der Fastenzeit recht selten fallen.
Die Simplex der Feriae maiores der Fastenzeit
In der Fastenzeit werden in der Matutin zwölf Psalmen gebetet und nicht wie bei den Duplex-Festen neun Psalmen. Wie wir bereits schrieben, werden bei den Duplex-Festen jeweils drei Psalmen von den Lesungen abgewechselt, sodass man nicht die neun Psalmen am Stück betet. Man kann es hier am Beispiel des Festes des Hl. Cyrill von Alexandrien am 9.02 ersehen.[4] Man hat also bei den Duplex-Festen mehr Abwechslung und man betet auch kürzer. Aber an den meisten Fastentagen betet man 12 ganze Psalmen hintereinander, was wirklich länger dauert und viel Konzentration erfordert. So sind es am Montag der ersten Fastenwoche die folgenden Psalmen:
- Ps 38
- Ps 39
- Ps 40
- Ps 41
- Ps 43
- Ps 44
- Ps 45
- Ps 46
- Ps 47
- Ps 48
- Ps 49
- Ps 51
Danach folgt das Tagesevangelium mit einem Kommentar eines Kirchenvaters. Wie lange dauert es? Eine Stunde beim zügigen Lesen. Warum schreiben wir das? Um anzugeben, was man alles verloren hat. Da man diese Psalmen im restlichen Kirchenjahr selten betet, weil die Simplex oder die Simplex maior Feste selten sind, so entdeckt man sie neu und sie „sprechen zu einem“. Man verfällt nicht ins gedankenlose Rezitieren, wie beim nachkonziliaren Brevier, wo man schon alles auswendig kennt. Ja, die liturgische Erziehung funktionierte mal in der Kirche besser.
Die Laudes der Simplex maior Feste der Fastenzeit
Bei der Laudes der Fastenzeit betet man zu den üblichen sieben Psalmen, am Anfang den Psalm 50 (Miserere mei) und am Ende, nach den Fürbitten, welche in der Fastenzeit gehalten werden, den Psalm 129 (De profundis). Diese beiden Bußpsalmen, die einige unserer Leser schon kennen, bilden sozusagen die liturgische Fassung der anderen Psalmen, die – als Bußpsalmen – kniend gebetet werden sollen. So betet man am Montag der ersten Fastenwoche in der Laudes:
- Ps 50
- Ps 42
- Ps 62
- Ps 66
- Canticum Ezechiae Is 38:10-24
- Ps 148
- Ps 149
- Ps 150
- Ps 129
In der Fastenzeit kommen die Cantica des Alten Testaments zur Geltung, welche ebenfalls im restlichen Kirchenjahr selten rezitiert werden. Man wird wirklich durch das Brevier genährt und durch die Kommentare der Kirchenväter in die tief-spirituelle Dimension der Fastenzeit geführt. Obwohl diese Häufung der Adjektive mittlerweile esoterisch anmutet, so sind sie an dieser Stelle wirklich richtig verwendet. Denn es eröffnen sich ganze neue Welten, welche wir natürlich in der Kirche seit mehreren Jahrzehnten nicht vermittelt bekommen, denn seit der nachkonziliaren Brevierreform werden diese Texte nicht mehr gelesen, sodass man auf eigene Inspirationen, welche sich ja um das Miteinander, die Wale, die Mitmenschlichkeit drehen, angewiesen wird. Und wie der Input, so der Output.
[1] http://divinumofficium.com/cgi-bin/horas/officium.pl
[2] http://divinumofficium.com/cgi-bin/horas/kalendar.pl
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[4] http://divinumofficium.com/cgi-bin/horas/officium.pl

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