Tradition und Glauben

Dom Prosper Guéranger: Antiliturgische Häresie (3). Reine Schriftlesung statt liturgischer Formeln

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Anbei der dritte Teil der Antiliturgischen Häresie von Pater Guéranger darunter unser Kommentar,

Dies ist in der Tat das zweite Prinzip der antiliturgischen Sekte: [sie wollen] die im kirchlichen Stil verfasste [liturgische] Formeln durch Lesungen aus der Heiligen Schrift ersetzen. Dies verschafft ihnen zwei Vorteile: vor allem lässt es die Stimme der Tradition verstummen, welche täglich ruft; außerdem ist es ein Mittel [die eigenen] Dogmen zu propagieren oder zu bekräftigen und zwar durch die Stimme der Verneinung oder der Bejahung. Sie tun es durch die Stimme der Verneinung, indem sie mit [Still-]Schweigen – einem geschickt gewählten Mittel – diejenigen Texte übergehen, welche eine Doktrin vertreten, die ihren Irrtümern entgegensteht. Sie tun es durch die Stimme der Bejahung, indem sie im Lichte der ausgewählten Passagen, die lediglich nur eine Seite der Wahrheit zeigen, ihre andere Seite vor den Augen des [ungebildeten] Volkes verbergen. Schon seit vielen Jahrhunderten weiß man, dass der Vorzug, den alle Häretiker der Heiligen Schrift vor den kirchlichen Definitionen geben, aus keinem anderen Grund stattfindet, als wegen der Leichtigkeit, mit der sie alles, was sie wollen, dem Wort Gottes zuschreiben können. Sie tun es, indem sie es mal so, mal so, je nach Zusammenhang, nach ihrem Gutdünken erscheinen lassen. Wir werden noch woanders sehen, was die Jansenisten in dieser Hinsicht getan haben, [da sie] durch ihr System verpflichtet waren den äußeren Rahmen der Übereinstimmung mit der Kirche zu wahren; was aber die Protestanten anbelangt, so haben sie beinahe die gesamte Liturgie ausschließlich auf die Schriftlesung reduziert. Die Letztere wird durch Vorträge begleitet, in welchen jeder die Schrift gemäß seinem eigenen Verstand interpretiert.

Was die Wahl und die Bestimmung der kanonischen Bücher [der Heiligen Schrift] anbelangt, so endete dies damit den Launen der Reformatoren nachzugeben, welche als die letzte Instanz nicht nur ausschließlich über den Sinn des Wortes Gottes, sondern auch über den Fakt dieses Wortes entscheiden. So fand Martin Luther, dass Pantheismus, Nutzlosigkeit der guten Werke und Genügsamkeit der Gnade diejenigen Dogmen sind, die in seinem System etabliert werden müssen. Daher erklärte er, dass der Jakobusbrief ein Strohbrief und kein kanonischer Brief sei. Er tat dies einzig und allein deswegen, weil durch eben diesen Brief die Notwendigkeit der guten Werke für das Heil gelehrt wird. In allen Zeiten und unter [der Verwendung] aller Formen wird es dasselbe sein: keine kirchlichen Formeln; die Schrift allein, aber interpretiert, aber ausgewählt, aber präsentiert durch diejenigen, welche darin ihren Nutzen der Neuerung finden. Dieser Falle ist aber für die einfachen Gläubigen gefährlich, die erst nach einer längeren Zeit wahrnehmen, dass sie getäuscht worden sind und dass das Wort Gottes, dieses zweischneidige Schwert, wie der Apostel sagt, ihnen große Wunden zugefügt hat, denn es wurde manipuliert durch die Söhne der Verderbnis.

Kommentar

Hier sehen wir den eigentlichen Grund des protestantischen, jansenistischen und nachkonziliaren Biblizismus. Denn beschränkt man sich auf die Schrift allein (sola Scriptura) oder vornehmlich auf die Schrift, so kann man sie auslegen, wie es einem gerade passt. Wie man aus der Versuchung Christi ersehen kann, kennt der Widersacher Gottes die Schrift sehr gut und setzt sie auch geschickt ein. Deswegen hat die Kirche immer zwischen dem kultischen Schriftgebrauch, in welchem nicht alle Passagen verwendet wurden und dem persönlichen Gebrauch der Heiligen Schrift, welcher dem Studium oder der Frömmigkeit diente, unterschieden. Bis zum Konzil war man der Meinung, dass nicht jede Schriftlesung in den öffentlichen Kult der Kirche gehörte, da nicht alles frommt. Und daher die ausgewählten Schriften im Missale romanum und daher nur ein Jahreszyklus einer Schriftlesung und eines Evangeliums in Vetus Ordo. Das nachkonziliare Durcheinander des Dreijahreszyklus der Sonntagslesungen bringt den Gläubigen nur dazu zu erkennen, dass es Unterschiede und Widersprüche in der Bibel gibt, die weder er, noch der predigende Pfarrer lösen kann. Die Perikopen der Wochentagslesungen, welche nicht selten aus überaus blutrünstigen Passagen des Alten Testaments bestehen, welche vor dem Konzil höchstens im Matutin des Breviers, aber niemals in der Messe gelesen wurden, lassen ebenfalls manch eine Frage offen, warum das soeben dargestellte das Wort Gottes ist.

Daher hat das vorkonziliare Lehramt niemals die reine Schriftlesung allen empfohlen, da solch eine Lesung den theologisch Ungebildeten vor Probleme stellt, die er selbst nicht lösen kann und an denen er früher oder später verzweifeln wird. Denn es gibt tatsächlich manche Passagen, die wirklich schwierig und widersprüchlich bleiben, auch für Fachleute. Dies hat auch, zwar in einer boshaften Absicht, der, in anderem Kontext verurteilte Peter Abelard (1079-1142) in seinem Werk Sic et non dargelegt, in welchem er widersprüchliche Texte der Kirchenväter zu verschiedenen theologischen, auch biblischen, Problemen auflistet. Seine Lösung war vom Ansatz her eigentlich relativistisch, was ihn natürlich für viele heutigen Theologen zum modernen Vordenker machte. Im Gegensatz dazu wollte die Kirche bis zum letzten Konzil gerade den Glauben der einfachen, sprich der ungelernten und der theologisch ungebildeten Leute durch die Liturgie schützen und nicht aushöhlen. Daher wurde auch die reine Schriftlesung nicht allen empfohlen und oft missbilligt, da die Heilige Schrift, wie wir wissen, kein Selbsthilfebuch ist und man viel Wissen und geistliche Anleitung braucht, um sie richtig verstehen zu können. Man vergisst wirklich allzu leicht, dass man, um eine geistliche Unterweisung zu erhalten, in einer geistlichen, sprich spirituellen, Tradition stehen muss. Die bedeutet bei jemanden in die Lehre zu gehen, der selbst ein geistlichen Leben pflegt, wie ein Novize bei einem Wüstenvater oder einem Einsiedler, der natürlich mit der ganzen Tradition der Kirche konform gehen muss. Theologie besteht ja nicht nur aus intellektuellen Inhalten, sondern auch aus geistlichen.

Interessanterweise stammt die erste Aussage des Lehramtes über die Nachteile privater Bibelkreise nicht erst aus der Zeit der Reformation, sondern aus dem Jahre 1199. Der Brief des Innozenz III. Cum ex iniuncto an die Einwohner von Metz vom 12. Juli 1199 lautet wie folgt:

 

„Unser ehrwürdiger Bruder, der Bischof von Metz, teilte uns in seinem Schreiben mit, dass sowohl in der Diözese die in der Stadt Metz einen nicht unbedeutenden Menge von Laien und Frauen, gewissermaßen von dem Verlangen nach den Schriften gezogen, sich die Evangelien, die Briefe des Paulus, den Psalmen, die Moralia Job <Gregor des Großen> und mehrere andere Bücher in französischer Sprache übertragen ließ; … [so geschah es aber,] dass in geheimen Zusammenkünften Laien und Frauen solches untereinander auskotzen (eructare) und sich gegenseitig zu predigen wagen: Sie verschmähen auch den Umgang mit denen, die sich nicht an Ähnlichem beteiligen … Manche von ihnen verschmähen auch die Einfachheit ihrer Priester; wenn sie ihnen durch diese das Wort des Heils vorgetragen wird, murren sie im Verborgenen, sie hätten in ihren Schriften besseres und sie könnten es klüger ausdrücken.“ (DH 770)

Wir finden hier die typische Beschreibung eines Bibelkreises, die er in jener Pfarrerei und in jeder Erneuerungsbewegung stattfindet. (1) Niemand weiß Bescheid, (2) jeder will was gelten und deswegen (3) gibt man Unsinn von sich. Das starke Wort „auskotzen, bzw. sich erbrechen“ (eructare) wurde tatsächlich vom Heiligen und Papst verwendet und zu Recht. Bei solchen Kreisen entsteht immer ein Elitedenken: „wir“ gegen „sie“. Es entsteht der Eindruck einer höheren Weihe, eines verborgenen Wissens, was von Grund her gnostisch ist. Bei Kreisen, die von Frauen besucht oder geleitet werden, sagt jede nur „was ihr die Schrift sagt“, „was sie dabei fühlt“, „was für sie dabei wichtig“ ist. Es kann aber, theologische gesehen, grundfalsch sein. Es wird aber von niemand berichtigt, da sich niemand auskennt und auch die Gefühle der Betreffenden nicht verletzen möchte. Die Verwendung in diesem Kontext des Verbs eructare ist mehr als treffend. Danach bekräftigt Innozenz III. die Notwendigkeit die Auslegung der Schrift denen zu überlassen, die vom Lehreramt dazu befähigt worden sind also den theologisch gebildeten, so wollen wir hoffen, Priestern. Er schreibt aber auch weiter:

 

„Die verborgenen Geheimnisse des Glaubens aber sind nicht überall allen darzulegen, weil sie nicht über von allen verstanden werden können, sondern nur denen, die sie im gläubigen Verständnis erfassen können. […] So groß ist nämlich in die Tiefe der göttlichen Schrift, dass nicht nur die Einfältigen und Ungebildeten, sondern auch die Klugen und Gelehrten nicht ganz dazu fähig sind, ihren Sinngehalt aufzuspüren.“ (DH 771)

Die Schrift bleibt also nicht nur deswegen von vielen unverstanden, weil sie schwierig ist, sondern auch deswegen, weil man ein hörendes und reines Herz braucht, in welches das Wort Gottes fallen und sich darin entwickeln kann. Ein Sünder, ein Spötter oder ein Atheist findet nur die falschen Rückschlüsse, weil er das Gehörte nicht im göttlichen Licht einordnen kann.

In diesem Sinne sind auch die folgenden Aussagen des Lehramtes zu verstehen. So sagt die vierte „Tridentinische Regel“ für das Verbot von Büchern vom 24. März 1564:

 

„Da durch die Erfahrung offensichtlich ist, dass, wenn die Heilige Bibel in der Volkssprache allenthalben ohne Unterschied zugelassen wird, daraus wegen des Leichtsinns der Menschen mehr Schaden als Nutzen erwächst, soll es in diesem Fall im Ermessen des Bischofs oder eines Inquisitors stehen, dass sie auf Zuraten des Pfarrers oder des Beichtvaters denen die Lektüre von katholischen Autoren übersetzten Bibel in der Volkssprache erlauben können, bei denen sie gemerkt haben, dass sie aus dieser Lektüre keinen Schaden, sondern Wachstum des Glaubens und der Frömmigkeit ziehen können …“ (DH 1854)

Die private Bibellektüre war also nicht verboten, aber sie konnte nicht allen unterschiedslos empfohlen werden und zwar aufgrund der Erfahrungen, die mehrere Jahrhunderte dauerten. Diesen Gedankengang bestätigt auch der Brief des Pius VII. Cum magno acerbo (1816), an den Erzbischof von Mogilew:

 

„Was aber die Ansicht der Kirche über die Lektüre und Auslegung der Schrift ist, soll Deine Brüderlichkeit ganz deutlich aus der berühmten Konstitution Unigenitus unseres anderen Vorgängers Clemens XI. Ergänzen, in der jene liefen ausdrücklich missbilligt wurden, in denen behauptet wurde, <es sei> zu jener Zeit, an jedem Ort und für jenen Personenkreis nützlich und notwendig, den Geheimnissen der Heiligen Schrift kennen zu lernen, deren Lektüre, wie versichert wurde, für alle sei, und es sei schädlich, das christliche Volk von eben dieser abzuhalten, ja, den Gläubigen werden sogar ermuntert Christi verstopft, wenn man ihren Händen das Neue Testament entreiße“ [DH 2712, vgl. 2479-2485]

Pius VII spielt hier auf die antijansenistischen Kanones der Bulle Unigenitus an, die wir vielleicht noch an einer anderen Stelle besprechen werden. Es bleibt festzuhalten, dass die reine Bibellektüre nicht nur Gutes bewirken kann, da die Schrift, wie Pater Guéranger richtig sagt „ein zweischneidiges Schwert ist“ (Hbr 4,12). Ebenso stiftet die Vermehrung der Schriftlesungen in der Liturgie mehr Schaden als Nutzen. Vielleicht kann man tatsächlich sagen, dass kurz nach dem Konzil mehr Katholiken die Heilige Schrift gelesen hat als es vor dem Konzil der Fall war. Jetzt liest wohl kaum mehr jemand etwas. Es stellt sich aber die Frage, ob es ihnen tatsächlich bekommen ist. Denn es ergeben sich eigentlich immer dieselben Möglichkeiten:

  • Man fängt mit der Lektüre an und gibt sie recht schnell wieder auf, weil man wenig bis gar nichts versteht und der Pfarrer oder der Theologe, den man fragt es auch nicht tut, ebenso wenig wie die Pastoralassistentin. Diese Entwicklung betrifft in etwa 60 % der Leser. (Alle Angaben nach Gefühl und Erfahrung des Schreibers dieser Zeilen und ohne Gewähr).
  • Man setzt die Lektüre fort und kommt über ein Eigenstudium zum diffusen und meistens häretischen Ansichten. Der Pfarrer kann hier noch weniger helfen, denn dies ist „Spezialistenkram“ und er ist für das Große und Ganze, das Praktische und das Miteinander (spricht Bratwursteinkauf für das Grillfest) zuständig. Die Pastoralassistentin hat ebenfalls keine Ahnung und auch keine Zeit, denn sie muss gerade den kreativen Bastel-Kindergottesdienst vorbereiten. Diese Entwicklung betrifft in etwa 20 % der Leser.
  • Man entschließt sich zu einem Theologiestudium mit dem Schwerpunkt Exegese, bei welchem man die historisch-kritische Exegese kennenlernt, welche nun wirklich keine Antworten erteilen will oder kann, denn konkrete Antworten sind ja „fundamentalistisch“. Diese Entwicklung betrifft in etwa 10 % der Leser.
  • Man landet über den Biblizismus bei den Freikirchen, bei welchen man tatsächlich die Antworten bekommt, aber auch nicht alle und eben die falschen. Diese Entwicklung betrifft in etwa 8 % der Leser.
  • Man bleibt durch das wundersame Walten der göttlichen Vorsehung von Glaubensabfall und Häresie bewahrt und entdeckt die tief verborgenen Schätze der Schrift. Diese Entwicklung betrifft in etwa 2 % der Leser.

Natürlich sind das alles Ermessensdaten mit einem „Sitz im Leben“, welche aber nahe legen, dass durch das reine Bibelstudium 98% der Katholiken auf schiefe Bahnen geraten kann, im Jahre 1199 genauso wie heute. Deswegen haben die „Reformer“ diesen Biblizismus, vor dem Pater Guéranger eingeführt, weil der Ausgang vorhersehbar war.

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