
Nachkonziliare Liturgie als die Umkehrung der heilbringenden Routine (2)
Da es sich aber in Deutschland, entgegen den liturgischen Vorschriften eingebürgert hat,[1] statt die vorgeschriebenen Texte des Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei zu beten oder zu singen verschiedene Lieder, je kürzer desto besser, zu verwenden, so kann man die oben genannte Zahl von 516.096.000 wirklich beliebig nach oben erweitern, um das Ganze wirklich ad absurdum zu führen. Man kann aber wirklich sagen, dass den deutschen Priestern die Liturgie wirklich ganz gleichgültig ist. Hauptsache sie selbst stehen im Mittelpunkt, die Pastoralassistentinnen und die engagierten Laien und vor allem die Kinder sind beschäftigt und das Restpublikum „macht mit“, d.h. ist gut unterhalten. Die Liturgie wird also zu einer Art Mannschaftssportart, bei der niemand ausgeschlossen werden darf, da sie ein „Gemeinschaftserlebnis“ darstellt. Das Argument auch bei den frommsten Priestern lautet: „Wenn ich es mache, dann ist es richtig“. Es lautet niemals: „Weil es richtig ist, darum mache ich es richtig.“ Natürlich hat diese narzisstisch-subjektive Sicht der Liturgie weder etwas mit der vorkonziliaren noch mit der nachkonziliaren Sicht der Liturgie zu tun, was man auch anhand der nachkonziliaren Enzyklika und Vorschriften leicht beweisen kann. Aber es interessiert hier niemanden, es geht um das „Miteinander“.
Es bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass ein Gläubiger bei der Neuen Messe niemals die segensreiche Routine, welche erst einen Tiefgang ermöglicht, erleben kann, da die liturgischen Vorschriften sie einfach nicht vorsehen. Geht man auch in die Messe zu einem Priester, der immer auf die gleiche Art und Weise zelebriert, so hat man auch nicht den Jahresrhythmus, da die Sonntags- und die Wochentagslesungen zyklisch wechseln. Es ist wirklich eher unwahrscheinlich, dass man einem Priester oder eine Ordensschwester treffen kann, welche, obgleich sie seit 1970 die neue Messe täglich erleben, auswendig sagen können, welche Lesungen beispielsweise am vierten Sonntag im Jahreskreis des Zyklus B vorgesehen sind. Und an diesen ständigen Änderungen kann man, will man und muss man nach den Novus Ordo Rubriken zelebrieren, wirklich nichts machen. Denn es gibt keine Rubriken! Das letzte Mal wurden die liturgischen Vorschriften unter Johannes XXIII. Im Jahre 1960 für die Alte Messe kodifiziert und stellten ein geltendes Kirchenrecht dar.[2] Während das alte Kirchenrecht (1917) recht umfangreich auch liturgische Vorschriften enthielt, so sind diese im neuen Kirchenrecht (1983) kaum vorhanden. Man muss einfach feststellen, dass von Rom aus kein Wille besteht die Neue Messe verbindlich zu kodifizieren und liturgische Vorschriften verbindlich und eindeutig festzusetzen, woran die Enzykliken Ecclesia de Eucharistia und Redemptoris sacramentum auch nichts ändern.
Da keine Sanktionen drohen, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass Priester im Allgemeinen und die deutschen Priestern im Besonderen sich an keine liturgischen Vorschriften halten. Ein Pfarrer in einer deutschen Diözese gab im Gespräch mit dem Schreiber dieser Zeilen seinem Erstaunen Ausdruck, dass es schon die dritte normative Einführung in das Messbuch gibt. Dann erinnerte er sich dunkel daran, dass irgendetwas bei der Priesterfortbildung darüber gesagt wurde, er fand aber die römischen Argumente dermaßen „wenig überzeugen“, dass er zu der Entscheidung kam sich an sie nicht halten zu müssen. Wie es bei „seinen“ Messen aussieht, können wir uns alle denken. An diesem Beispiel sieht man die Konsequenzen der pastoralen und subjekttheoretischen Wende in der Theologie und der Priesterausbildung, welche dazu geführt hat, dass jeder das macht, was er für richtig hält und was am bequemsten für ihn ist.
Natürlich ist diese liturgische Abscheu vieler Zelebranten moralisch und spirituell begründet. Man lebt unmoralisch und man verfügt über kein geistliches Leben und deswegen wählt man diejenigen Optionen, welche einen am wenigsten belasten. Zeige mir also, wie Du zelebrierst und wie Du betest und ich sage Dir, wer du bist. Man kann daran aber glücklicherweise erkennen, dass auch die Neue Messe über ein geistliches Potenzial verfügt, sonst würden manche Geistliche sie nicht dermaßen meiden. Die höchst empfohlene tägliche Zelebration der Messe (Kan. 276 § 2: „die Priester sind daher nachhaltig eingeladen (enixe invitatur), täglich das Eucharistieopfer darzubringen“, CIC 1983) wird kaum eingehalten. Bei der auch wirklich absolut notwendigen Sonntagszelebration hingegen wird die „abgespeckteste“ Version gewählt, d.h. meistens das Zweite Hochgebet (das Kürzeste) oder das Fünfte („Jesus, unser Bruder“), niemals das Erste. Man braucht hier bei wirklich keine besondere Gabe der Geistesunterscheidung anzuwenden, denn die schweren Sünder haben einen sehr guten sensus fidei (Glaubenssinn), nur einen umgekehrten. Daher kann man mit großer Gewissheit sagen, dass die „Macher“ der Neuen Messe, sowie die nachkonziliaren Liturgiekommissionen ganz genau wussten, was sie taten. Sie haben einfach all das weggenommen oder auf dem Papier in Optionen beibehalten, was sie selbst, bzw. die Kräfte, welche sie inspirierten, am meisten spirituell störte. Denn zu solch einer genialisch-zerstörerischen Voraussicht ist wirklich kein Mensch fähig.
[1] Laut Allgemeine Einführung in das römische Messbuch, Editio Typica 3a, Vatikan 2002. Es handelt sich um die folgenden Vorschriften: Bußakt/Kyrie- 51, Gloria – 53, Credo – 67, Sanctus – 151. Nachzulesen http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/arbeitshilfen/AH_215.pdf
[2] Siehe “Rubricae Breviarii et Missalis Romani”, Acta Apostolicae Sedis 52 (1960) 597-729.
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