
III. Erschaffung der Engel am Anbeginn der Zeit (de fide)
Die Thematik des Zeitpunkts der Erschaffung der Engel ist aus mehreren Gründen problematisch. Denn hier treffen die Aussagen der Offenbarung, die unfehlbar ist und der Philosophie, die nicht unfehlbar ist, aber die Zeit definiert, aufeinander. Wenn die Theologie die göttliche Offenbarung in menschlichen Worten und Begriffen widerspruchsfrei weitergeben möchte, so muss sie sich bestimmter philosophischer Begriffe bedienen, wie zum Beispiel „Zeit“, „Substanz“, „Wesen“ etc. Diese Begriffe bedeuten jedoch abhängig vom jeweiligen philosophischen Kontext etwas anderes. Manche Begriffe sind dermaßen schwer eindeutig zu deuten, dass sich die Kirche mit Aussagen, welche diese Begriffe beinhalten, sehr zurückhält. Dazu gehört die Beantwortung der Frage: „Was ist die Zeit?“ Die Zeit ist nach Aristoteles
„die Zahl der Bewegung davor und danach“,[1]
sodass das Definiens des Begriffes „Zeit“ die „Bewegung“ ist. Der Heilige Thomas von Aquin ist da sehr aristotelisch, wenn er die Zeit wie folgt definiert:
Die Zeit ist vor allem die Bewegung der Gestirne (Summ. Theol. Ia, q. 10. 6. c)
Die Zeit ist per se das Maß der ersten Bewegung (Ia, q. 10. 4. Ad 3 et 1.2. q.31. 2. c)
Die Zeit gehört also der körperlichen und beweglichen Welt an, was schon Platon feststellte. Wie ist aber die Zeit zu behandeln, welche nichts mit der körperlichen Welt zu tun hat? Wenn die Engel, wie es die Kirche lehrt, Geistwesen sind und daher nicht körperlich, wenn die erste Schöpfung der Engel eine geistige Schöpfung gewesen ist, wie ist in diesem Kontext die Zeit zu behandeln? Sollte man von der „Zeit“ der körperlichen Bewegung und der „Zeit*“ der Engelwelt reden? Die Kirche legt es nicht fest und wir wollen uns auch nicht festlegen. Dies ist tatsächlich der Bereich der sogenannten Theologenmeinung (sententia theologica), welche der freien Forschung innerhalb des Lehramtes anheimgestellt wird. Die Kirche lehrt aber, dass die Zeit irgendwann mal angefangen hat als solche dazu sein, da sie sich von der Ewigkeit und der Zeitlosigkeit unterscheidet.
Was aber für die Engelsthematik viel wichtiger ist, ist die dogmatische Festlegung der Erschaffung der Engel „von Anbeginn der Zeit“. Die Engel sind also nicht präexistent, sie habe nicht von der Ewigkeit her vor der Welterschaffung existiert, sondern sie sind erschaffen worden. Diese Aussage geht gegen die Irrlehren der Origenisten, welche eine Präexistenz der Engel annahmen. Da die Engel, so die Origenisten, ewig sind, so können Sie nicht in Ewigkeit bestraft werden, daher ist die Hölle nicht endgültig, sondern am Ende der Zeiten erfolgt die Apokatastasis ton panton – die Wiederkehr aller Dinge zu Gott. Diese Annahme ist häretisch und ist als solche verurteilt worden (553 2. Konzil vom Konstantinopel), ihren Ausgangspunkt bildet die Annahme der Ewigkeit und Nicht-Zeitlichkeit der Engel. In diesem Lichte lassen sich die folgenden dogmatischen Aussagen verstehen.
Dogma
Sowohl das Vierte Lateranum (1215), als auch das Erste Vatikanum (1870) verkünden, dass die Erschaffung der Engel simul ab initio temporis – „zugleich, von Anbeginn der Zeit” stattgefunden hat. (DH 800, 1336, 951/953, 3002, 3021).
Die Kirche lehrt, dass die Erschaffung der Engel „zugleich“ (simul) stattgefunden hat. Dies bedeutet, dass alle Engel gleichzeitig erschaffen worden sind. Es fand keine Spaltung der Engel statt in die ewigen und die geschaffenen Engel, wie es manche Gnostiker lehrten. Die Anzahl der Engel steht von Anbeginn ihrer Erschaffung fest. Dies bedeutet, dass keine neue Engel fortlaufend erschaffen werden, ebenso wenig werden auch die Seelen der Verstorbenen zu Engeln, wie man es gerne in den sentimentalen Kreisen hört.
Die Aussage, dass die Engel zusammen mit der Körperwelt erschaffen worden sind, gehört zu der Kategorie sententia probabilior, weil die Theologie dogmatisch nicht festgelegt hat, was die Zeit ist und was die Begriffe „zugleich”, „von Anbeginn der Zeit” und „mit der Zeit” bedeuten. (Vgl. Thomas von Aquin, Opusc. 19 [al. 18], 2).[2] Leider ist die Definition der Zeit sehr kompliziert nicht nur aus der Perspektive der Physik, sondern auch der Metaphysik, daher ist es besser, dass die Kirche nicht das dogmatisiert hat, was ein Gegenstand der Philosophie ist.
Die Heilige Schrift
Es gibt keine eindeutige Aussage der Bibel über den Anfang der Existenz der Engel.
Hiob 38, 4.7,
„Wo warst du, als ich den Grund der Erde legte? Sage mir das, wenn du Einsicht hast!“ (Allioli)
Hiob 38, 7
„Als mich die Morgensterne [d.h. die körperliche Schöpfung] allzumal (simul) lobten und alle Kinder Gottes [die Engel] jauchzten? (cum me laudarent simul astra matutina et iubilarent omnes filii Dei)“ (Allioli)
Sir 18,1;
„Der ewig Lebende hat alles zumal erschaffen (creavit omnia simul)“. (Allioli)
Gen 1,1
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. (in principio creavit Deus caelum et terram) (Allioli)
Tradition
Unter den Kirchenvätern gibt es bezüglich des Augenblickes der Erschaffung der Engel keinen Konsens (consensus patrum). Die meisten von ihnen gehen davon aus, dass die Engel noch vor der Körperwelt erschaffen worden sind. Nur sehr wenige von ihnen vertreten die Ansicht, dass Gott sie nach der Schöpfung des Menschen erschaffen hat. Die folgenden Autoren sind der Ansicht, dass die Engelwelt zusammen und zugleich mit der Körperwelt erschaffen worden ist: Epiphanius von Salamis, Haer. 65, 6; Theodoret von Zyr, Quaest. In Gen 4; Augustinus, De civ. Dei XI 6,9; Gregor der Große, Moral. XXXII, 12.[3]
Das Argument der Angemessenheit
Es erscheint angemessen, logisch und widerspruchsfrei anzunehmen, dass die Engel- und Körperwelt gleichzeitig erschaffen worden sind, weil die Engel nur einen Teil der Schöpfung bilden. Da Gottes Werke vollkommen sind (vgl. Dtr 32,4), wäre die Schöpfung unvollkommen, wenn sie nur aus der Engel- oder der Körperwelt bestehen würde. Daher ist es unwahrscheinlich, dass Gott die Engel vor oder nach der Körperwelt erschaffen hat, meint der Heilige Thomas (Ia Iae q. 61 a. 3; De pot. Q. 3 a. 18).[4]
Es ist anzunehmen, dass es keine verpflichtende Lehre über den Augenblick der Erschaffung der Engel gibt. Sie sind sicherlich aber vor den Menschen erschaffen worden, da sie ihre Probe zu bestehen hatten.
[1] Aristoteles, Phys. 221 b 8; 221 a 1; 251 b 10.
[2] Diekamp-Jüssen, Katholische Dogmatik, Alverna: Will 2012, 371.
[3] Ebd., 371-372.
[4] Ebd, 372.
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