
Da leider Gottes seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil kaum irgendwelche Lehre verurteilt wird, so können nur die wenigsten Katholiken oder gar Theologen etwas mit dem Begriff „kirchliche Zensur“ anfangen. Da Kardinal Ratzinger in einem seiner Interviews mit Peter Seewald selbst sagte, dass die Glaubenskongregation das Ziel hat die Irrenden „noch mehr zu lieben“, so können wir nur hoffen, dass hier Liebe durch die gerechte Ermahnung gemeint ist und nicht „Liebe“ im Sinne des Prälaten Charamsa, des ehemaligen Mitarbeiters der Glaubenskongregation oder im Sinne David Bergers, der auch ein Konsultor der Glaubenskongregation gewesen ist.
Die Bandbreite der Zensuren
In der Zeit aber, als das Heilige Offizium dazu diente die theologischen Fehler zu brandmarken, um die Gläubigen von dem Gift der Häresie zu schützen, gab es ein recht umfangreiches Instrumentarium von negativen, kirchlichen Entscheiden, die man Zensuren (censurae) nannte, die Tätigkeit hingegen als das Zensurieren, nicht als das Zensieren beschrieb. Denn nicht jeder Unsinn ist gleich Häresie. Wie richtigerweise Roberto de Mattei sagt,[1] wurde die ganze Bandbreite der Zensuren erst im Kampfe gegen den Jansenismus entwickelt:
Diese Präzision in der Beurteilung der Irrtümer entwickelte sich vor allem im 17. und 18. Jahrhundert, als die Kirche der ersten Häresie entgegentreten mußte, die dafür kämpfte, in der der Kirche bleiben zu können: dem Jansenismus. Die Strategie der Jansenisten, wie später auch der Modernisten, war die, ihre volle Rechtgläubigkeit zu behaupten, trotz der wiederholten Verurteilungen. Um einer Anklage wegen Häresie zu entgehen, dachten sie sich zweideutige und mißverständliche Glaubens- und Moralformeln aus, die sich nicht offen dem katholischen Glauben widersetzten und es ihnen erlaubten, in der Kirche zu bleiben. Mit ebensolcher Sorgfalt und Entschlossenheit machten die orthodoxen Theologen die Irrtümer der Jansenisten ausfindig und beanstandeten sie nach ihren spezifischen Merkmalen.
Papst Clemens XI., beanstandete am 8. September 1713 mit der Bulle Unigenitus Dei filius 101 Thesen des Buches Réflexions morales des jansenistischen Theologen Pasquier Quesnel unter anderem als
„falsas, captiosas, male sonantes, piarum aurium offensivas, scandalosas, perniciosas, temerarias, Ecclesiae et eius praxi iniuriosas, neque in Ecclesiam solum, sed etiam in potestates saeculi contumeliosas, seditiosas, impias, blasphemas, suspectas de haeresi ac haeresim ipsam sapientes, necnon haereticis et haeresibus ac etiam schismati faventes, erroneas, haeresi proximas, pluries damnatas, ac demum haereticas.“3
Pius VI. verurteilte in der Bulle Auctorem fidei vom 28. August 1794 seinerseits 85 Thesen der jansenistischen Synode von Pistoia (1786). Einige dieser Thesen werden ausdrücklich als häretisch bezeichnet, andere hingegen je nachdem als: schismatisch, häresieverdächtig, zur Häresie verleitend, den Häretikern günstig, falsch, irrig, schädlich, ärgerniserregend, tollkühn, beleidigend für die gemeinsame Praxis der Kirche.4 Jeder dieser Begriffe hat eine unterschiedliche Bedeutung. So ist die These, mit der sich die Synode überzeugt gibt, daß der Bischof von Jesus Christus alle notwendigen Rechte für eine gute Regierung in seiner Diözese erhalten habe, unabhängig vom Papst und den Konzilen (Nr. 6) „irrig“ und „verleitet zum Schisma und zum Umsturz der hierarchischen Ordnung“. Jene, mit der der Limbus verworfen wurde (Nr. 26), wird als „falsch, tollkühn, beleidigend gegenüber den katholischen Schulen“ beanstandet. Die Proposition, die es verbietet, Reliquien und Blumen auf den Altar zu stellen (Nr. 32), wird als „tollkühn, beleidigend für den frommen und anerkannten Brauch der Kirche“ bezeichnet.
Die Bulle Auctorem fidei (1794), die auch auf Deutsch einzusehen ist[2] und welche mit den lehramtlichen Aussagen (DH 2600-2700) gleichbedeutend ist, zeigt wirklich die ganze Bandbreite der Zensuren, welche deswegen entwickelt wurde, weil die Jansenisten ihre Irrlehren so formulierten, dass sie rechtgläubig klangen, was Roberto de Mattei bereits erwähnte.
Unterteilung der Zensuren
Wir werden die kirchlichen Zensuren hier kurz anhand von Adolphe Tanquerey darlegen,[3] uns ein wenig auf Diekamp-Jüssen stützen,[4] der leider weniger genau ist und die interessierten Leser an andere Literatur verweisen,[5] welche, wie man sich denken kann, nach dem Konzil sehr spärlich geworden ist.[6]
Laut Tanquerey unterteilt man die Zensuren, welche die falschen theologischen Meinungen (propositiones doctrinales) sanktionieren, in diejenigen, welche:
- die Doktrin, d.h. die Glaubenslehre selbst (doctrina ipsa) betreffen,
- die Art und Weise ihrer Darstellung (modum) betreffen,
- die Auswirkungen (effectum) betreffen, welche sie auf die Gläubigen ausüben können.[7]
Wir wollen diese Zensuren zuerst aufzählen und im späteren Verlauf kurz besprechen:
Ad a. Zensuren, welche die Doktrin selbst (doctrina ipsa) betreffen:
- Häretische Meinung (haeretica) oder Häresie
- Der Häresie nahe Meinung (haeresi proxima)
- Nach Häresie schmeckende Meinung (haeresim sapiens)
- Häresie begünstigende Meinung (haeresi favens)
- Irrige Meinung (erronea)
- Leichtfertige Meinung (temeraria)
Ad b. Zensuren, welche Art und Weise (modum) der Darstellung der Doktrin betreffen:
- Mehrdeutige Meinung (aequivoca)
- Unklare Meinung (ambigua)
- Vermessene Meinung (praesumptuosa)
- Trügerische Meinung (captiosa)
- Verdächtige Meinung (suspecta)
- Übel klingende Meinung (male sonans)
- Fromme Ohren verletzende Meinung (piarum aurium offensiva)
- Wenigstens irrige Meinung (ad minus erronea)
- Ungerechte Meinung (iniuriosa)
- Woanders bereits verurteilte Meinung (alias damnata)
Ad c. Zensuren, welche Auswirkungen (effectum) betreffen, welche die theologische Meinung (sententia theologica) auf die Gläubigen ausüben können.
- Ärgernis erregende Meinung (scandalosa),
- Schismatische Meinung (schismatica),
- Aufrührerische Meinung (seditiosa),
- Unsichere Meinung (non tuta)
[1] http://www.katholisches.info/2016/01/13/den-katholischen-glauben-verletzt-man-nicht-nur-durch-haeresie/
[2] http://www.kathpedia.com/index.php?title=Auctorem_fidei_%28Wortlaut%29
[3] Tanquerey, A., Synopsis theologiae dogmaticae, Bd. II, Paris 1935, 117-118.
[4] Diekamp-Jüssen, Katholische Dogmatik, Wil: Alverna 2012 [1957], 80-84.
[5] Diese befindet sich auch in Diekamp-Jüssen, Katholische Dogmatik, 84; außerdem siehe: Antonius Panormitanus, Scrutinium doctrinarum qualificandi assertionibus, thesibus atque libris conducentium, Romae 1709; Viva, S.K., Damnatarum thesium theologica trutina, Paduae 1737. Der erste Teil ist online: https://books.google.de/books?id=fsUPpE6-KlEC&pg=PA361&lpg=PA361&dq=Damnatarum+thesium+theologica+trutina&source=bl&ots=uQyHiYW20F&sig=decCEvQ8wNjozMU-Ss8qxOGdFHI&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjb87no5KLMAhUI2CwKHS4lCwwQ6AEIQjAG#v=onepage&q=Damnatarum%20thesium%20theologica%20trutina&f=false
Montagne, Cl., De censuris seu notis theologicis (Migne, Theol. Cursus, I, 1111-1222); Quilliet, H., in Dict de Théol. (Mangenot), t. II, 2101.
[6] Vgl. Georg May, Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Schmid Verlag: Durach 1998.
[7] Tanquerey, A., Synopsis theologiae dogmaticae, T. II, 117-118.
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