
Als den ex auctoritate Beweis, d.h. einen Beweis, der sich auf die Autoritäten der Kirche bezieht, zu denen Heilige und Kirchenlehrer gehören, für unsere Behauptung, dass das mündliche Gebet nicht immer „aufmerksam“ (attende), im Sinne von „bewusst“ sein muss, zitieren wir hier den Hl. Thomas von Aquin, dessen Bemerkungen wird zu diesem Thema glücklicherweise gefunden haben. Hier gilt es zu differenzieren.
- Wir sprechen davon im Kontext eines lateinischen Offiziums, welches von manchen Betern sprachlich nicht verstanden wird, das sie kein Latein können.
- Dieses unbekannte Latein muss natürlich aufmerksam (attente) gesprochen werden.
- Dennoch kann es sich bei einem nicht verstandenen Text um keinen bewussten, intellektuellen Nachvollzug handeln.
Der Heilige Thomas schreibt (Summ. Theol. IIª-IIae q. 83 a. 13)[1] dazu folgendes:
Dreizehnter Artikel. Die Aufmerksamkeit im Gebete.
[Die Gegenthese] Notwendigerweise muß das Gebet aufmerksam sein. Denn:
[IIª-IIae q. 83 a. 13 arg. 1]
I. Nach Joh. 4, 24. „sollen, die Gott anbeten, Ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.“ Ist aber das Gebet nicht aufmerksam, so ist es nicht im Geiste.
[IIª-IIae q. 83 a. 13 arg. 2]
II. Das Gebet ist „das Aufsteigen des Geistes zu Gott“; was nicht statthat, wenn das Gebet nicht mit Aufmerksamkeit geschieht.
[IIª-IIae q. 83 a. 13 arg. 3]
III. Das Gebet muß ohne Sünde sein. Wer aber unaufmerksam betet, scheint Gottes zu spotten, wie wenn jemand mit einem anderen sprechen wollte und er gäbe nicht acht auf das, was er sagte; weshalb Basilius sagt (De constit Monaster. 1.):
„Man soll den göttlichen Beistand nicht mit Nachlässigkeit und Zerstreutheit anrufen; denn ein solcher wird weder erlangen was er will noch wird dies geschehen, ohne Gott noch mehr zu er zürnen.“
[Sed contra, d.h. der Einwand der sich auf eine Autorität bezieht]
[IIª-IIae q. 83 a. 13 s. c.]
Auf der anderen Seite kommt es auch bei heiligen Männern vor, daß sie im Gebete hie und da zerstreut sind, nach Ps. 39.: „Mein Herz hat mich verlassen.“
[Thomas Gegenargumente]
[IIª-IIae q. 83 a. 13 co.]
b) Ich antworte, betreffs des mündlichen Gebetes, wo ja hauptsächlich die berührte Frage Bedeutung hat, wird etwas als notwendig bezeichnet, entweder weil man dadurch besser zum Zwecke gelangt; und danach ist die Aufmerksamkeit schlechthin dem Gebete notwendig; — oder weil ohne das Betreffende ein Gebet nicht seine Wirkung erzielen kann. Nun giebt es eine dreifache Wirkung des Gebetes:
1. Es verdient bei Gott, wie alle in Liebe vollbrachten Werke; — und dazu ist es nicht notwendig, daß das ganze Gebet mit Aufmerksamkeit sich vollziehe; vielmehr macht die Kraft der im Beginne gemachten guten Absicht das ganze Gebet verdienstvoll, wie dies auch bei anderen verdienstlichen Werken der Fall ist.
2. Das Gebet will etwas erlangen; — und auch dazu genügt die im Beginne gemachte gute Absicht; ist diese nicht vorhanden, so ist das Gebet weder verdienstlich noch erlangt es etwas, da „Gott jenen nicht hört, der ohne Absicht betet.“ (Gregor. 22. moral. 13.)
3. Das Gebet erquickt den Geist; — und dazu ist die Aufmerksamkeit erfordert, nach 1. Kor. 14.: „Bete ich mit der Zunge, so ist mein Geist ohne Frucht.“
Nun giebt es hier eine dreifache Aufmerksamkeit:
1. giebt man auf den Laut der Worte acht, daß man sich nicht täusche; —
2. auf den Sinn der Worte; —
3. auf den Endzweck des Gebetes, nämlich auf Gott und die Sache, um die man bittet.
Letztere nun ist im höchsten Grade notwendig und die einfachsten Leute können sie haben; und sie ist manchmal in solchem Übermaße vorhanden, daß der Geist, zu seinem Gotte hingetragen, alles übrigen vergißt, wie Hugo von St. Viktor sagt. (De modo orationis.)
[IIª-IIae q. 83 a. 13 ad 1]
ad I. „Im Geiste und in der Wahrheit“ will heißen, man solle vom heiligen Geiste getrieben, also mit guter Absicht, zum Gebete hinzutreten; wenn auch nachher der Geist in etwa sich zerstreut.
[IIª-IIae q. 83 a. 13 ad 2]
Ad II. Wegen des Gewichtes seiner Schwäche kann der Geist nicht lange auf der Höhe stehen bleiben; er sinkt bald wieder. Wenn also der Geist aufsteigt zu Gott durch die Betrachtung, so geschieht es nur zu häufig, daß er auf einmal sich zerstreut.
[IIª-IIae q. 83 a. 13 ad 3]
Ad III. Wer absichtlicherweise im Gebete sich zerstreut, der sündigt. Deshalb sagt Augustin in der „Regel“: „Wenn ihr in Psalmen und Gesängen betet, so sei das im Herzen, was der Mund ausspricht.“ Die Zerstreuung des Geistes, welche absichtslos ist, nimmt die Frucht nicht fort. Darum fügt Basilius hinzu:
„Wenn du aber, geschwächt durch die Sünde, nicht mit unverrückbarer Aufmerksamkeit zu beten vermagst, so lege dir selbst einen Zügel an; und Gott verzeiht, weil du bloß aus Schwäche, nicht aus Nachlässigkeit, nicht Ihn preisen kannst, wie es sich geziemt.“
Was macht gute Theologie aus? Sie ist realistisch und an tatsächlichen Kräften des Menschen gemessen, denn Gott verlangt nichts Unmögliches von uns. Daher schreibt der Hl. Thomas sehr richtig, dass man nicht unter Sünde fordern soll, dass man die ganze Zeit aufmerksam, im Sinne „ohne Zerstreuung“, beten soll, weil es nicht machbar ist. Jeder Beter ist ab und zu zerstreut. Und unter anderem deswegen ist die Neue Messe so verhängnisvoll, weil sie permanent die Aufmerksamkeit auf das Gelesene, Gesagte und Gesungene fordert. Jeder schaltet irgendwann einmal ab und fühlt sich deswegen schuldig oder es ist ihm gleichgültig. Bei der Tridentinischen Messe hingegen haben wir sehr lange Passagen der Stille, welche man auf verschiedene Art und Weise betend ausfüllen kann, denn von den Teilen abgesehen, wo das Volk antwortet, braucht niemand an den Worten des Priesters zu hängen.
Richtig schreibt der Hl. Thomas, dass das Problem der Aufmerksamkeit ausschließlich beim mündlichen Gebet auftritt. Warum? Weil man beim affektiven Gebet, bei der Meditation oder bei dem Gebet der Einfachheit automatisch aufmerksam ist, da man entweder diesen Affekt, der zu und von Gott führt beobachtet, den gelesenen Text meditiert oder das diskursive Denken ausschaltet, um Gott wirken zu lassen. Diese sind aber wirklich fortgeschrittene Gebetsarten, zu welchen manche Menschen niemals gelangen werden. Ihnen bleibt nur das mündliche Gebet. Wenn sie dieses unterlassen, dann beten sie gar nicht mehr. Was ist aber Gebet? Die Intention sich zu Gott mit dem Geist aufzuschwingen, daher ist es eigentlich gleichgültig, ob man auf die gesprochenen oder gelesenen Worte aufpasst, wenn der Geist bei Gott weilt. Daher schreibt der hl. Thomas:
„dazu ist es nicht notwendig, daß das ganze Gebet mit Aufmerksamkeit sich vollziehe; vielmehr macht die Kraft der im Beginne gemachten guten Absicht das ganze Gebet verdienstvoll“ (Summ. Theol. IIª-IIae q. 83 a. 13 co.])
Dies bedeutet, dass man am Anfang des Gebets die Intention erwecken sollte zu beten, wenn man aber abschweift, so zählt der anfängliche Vorsatz. Es ist ähnlich als wenn wir unseren Navy Richtung Hamburg einstellen würden, wenn wir in München wohnen. Auch auf Umwegen gelangt er Richtung Hamburg und nicht Richtung Venedig. Denn:
„Das Gebet will etwas erlangen; — und auch dazu genügt die im Beginne gemachte gute Absicht“ (ebd.)
Thomas unterscheidet drei Arten der Aufmerksamkeit, welche besonders bei unseren Bußpsalmen für die Nichtlateiner zu tragen kommen:
- Man gibt acht „auf den Laut der Worte […]daß man sich nicht täusche“.
- Man gibt acht „auf den Sinn der Worte“.
- Man gibt acht „auf den Endzweck des Gebetes, nämlich auf Gott und die Sache, um die man bittet“.
Ad 1. Dies können auch die Nichtlateiner bewerkstelligen, indem sie die Texte aufmerksam lesen und Latein ist eine phonetische Sprache, d.h. man spricht (fast) genauso, wie man liest.
Ad 2. Dies können die Nichtlateiner tatsächlich nicht.
Ad 3. Die können die Nichtlateiner sehr gut und eigentlich besser als die Lateiner, da der Sinn sie nicht ablenkt und sie können sich vorzüglich „auf Gott“ und „die Sache“, d.h. die jeweilige Bischofskonferenz, konzentrieren.
Der dritte Punkt ist der höchste und darum schreibt Thomas:
„Letztere nun ist im höchsten Grade notwendig und die einfachsten Leute können sie haben; und sie ist manchmal in solchem Übermaße vorhanden, daß der Geist, zu seinem Gotte hingetragen, alles übrigen vergißt, wie Hugo von St. Viktor sagt. (De modo orationis.)“ (Summ. Theol. IIª-IIae q. 83 a. 13 co)
Pater Henry Caffarel erzählt, dass eine alte Nonne bei einem Priester, wahrscheinlich ihm selbst, beichtete und sich schrecklicher Zerstreuungen bezichtigte. Denn kaum fing sie zu beten an, so war ihr Geist gleich bei Gott und nicht beim Gelesenen. Dabei hatte sie die höchste Gebetsstufe erreicht, ohne es zu wissen, da sie keinen geistlichen Leiter hatte, der es ihr sagte. Zerstreuungen gibt es, aber nur freiwillige sind sündhaft, während man mündlich betet an Gott zu denken ist keine Zerstreuung, sondern ein Verdienst.
Zusammenfassen lässt sich sagen, dass ein Gebet nicht die ganze Zeit aufmerksam sein muss, um Gott zu gefallen und von ihm ihm Wohlgefälliges zu erbitten.
[1] http://www.unifr.ch/bkv/summa/kapitel599-13.htm
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