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DSDZ (der Schreiber dieser Zeilen) war gestern bei einer Alten Messe, wo die Gemeinde das Kyriale sang. Da er aber in der Zwischenzeit Carol Byrne gelesen hatte, so wurde ihm klar, dass er gar nicht mitsingen muss, um an der Messe innerlich (partitipatio actuosa) und nicht aktiv (partitipatio activa) teilzunehmen, da der Gemeindegesang eine Neuerung von Pius XII ist.
DSDZ begann seine musikalische Ausbildung im Alter von 5 Jahren in einer strengen, sozialistischen Musikschule. Er ist überdurchschnittlich musikalisch, spielt gut bis sehr gut mehrere Instrumente (wenn er übt). Er sang mehr als 20 Jahre lang in verschiedenen Chören und Ensembles, nahm Gesangsunterricht und sang auch das gregorianische Proprium solo oder mit einem Mitsänger. Er kann vom Blatt singen, traut sich zu in einem jedem Chor mitzusingen, sieht sich auch in der Lage leichtere Arien oder Opernpartien zu übernehmen. Nein, nicht gleich den Wotan, aber Kürzeres und Einfacheres für einen Bariton. Er hat also, was sein musikalisches Können anbelangt, wirklich keine Minderwertigkeitskomplexe. Er singt also gut, aber nicht gerade gerne.
Singen – alles eine Frage der Technik
Warum singt er denn nicht gerne?
Weil richtiges Singen einfach anstrengend ist. Es ist wie mit jedem Können. Menschen, die etwas können, siehe Dunning-Kruger-Effekt, halten sich für schlechter und inkompetenter als sie sind. Diejenigen aber, die wenig, bis nichts können, halten sich für besser und kompetenter als sie sind. Dies betrifft insbesondere die sog. „Kunst“, wo sich die meisten untereinschätzen oder überschätzen, sehr selten richtig einschätzen.
Das Singen, liebe Leserinnen und Leser, ist nämlich etwas sehr Technisches. Es ist wie Eiskunstlaufen, Ballett, Turmspringen oder Kampfsportarten. Es besteht aus vielen kleinen Bewegungen, die jahrelang mühselig eingeübt werden müssen, damit sie schön und wirksam sind. Da die meisten Menschen, die kein Gesangunterricht hatte, das Singen von DSDS (Deutschland sucht den Superstar) kennen, so denken sie dabei ans „Talent“ oder „eine gute Stimme“. Dies stimmt aber nicht oder nur sehr bedingt. Menschen, die überhaupt gerne singen, machen einfach Vieles instinktiv richtig, weil sie es schon lange tun. Daher singen sie richtig. Ihr Stimmapparat ist oft von Natur her so gebildet, dass alles gut resoniert, daher die „gute Stimme“.

Aber ohne Gesangsunterricht kommt man nicht weit, was manch ein Sänger in der Unterhaltungsindustrie erfuhr, weil man eine gute Gesangstechnik braucht, um langfristig leistungsfähig zu bleiben. Eine „gute Stimme“ kann man auch trainieren, schaffen oder entwickeln, weil sich die Stimme, durch eine gute Gesangstechnik selbst weiterentwickelt, sodass man seine eigene Stimme, im guten Sinne, oft nach Jahren nicht wiedererkennt. So wächst man oft aus bestimmten Opernpartien heraus, weil die Stimme zu groß geworden ist.
Arbeit, Arbeit und Arbeit
Damit aber das Publikum Freude am Sänger hat, muss dieser den Gesang einstudieren, üben, üben und üben, nicht allzu viel singen, damit man nicht heiser wird, sich vor dem eigentlichen Auftritt lockern und einige Atemübungen machen. Ein Auftritt ist, je nach Länge, ein Marathon oder ein Halbmarathon. Sie müssen vorher trainieren, um ihn überhaupt zu schaffen. Die meisten Amateure kennen diese Zusammenhängen nicht und machen es nicht, sodass sie vielleicht nur 20% dessen präsentieren, was sie theoretisch erreichen könnten. Jeder, der in einem guten Ensemble gesungen hat, weiß: je besser der Chor, desto länger und härter die Proben und desto mehr Kritik muss man vertragen.
Es gibt die erste Bulle Docta Sanctorum Patrum zur Kirchenmusik von Johannes XII aus dem Jahre 1322, wo der Papst die Strömung der Ars Nova verurteilt. Dort bemängelt der Papst etwas, was jeder Sänger erfährt. Je schwieriger ein Stück ist, desto mehr müssen Sie sich auf das Stück und den Gesang konzentrieren und kommen gar nicht zum Beten und Betrachten. Weil Ars Nova viel schwieriger als der einfache gregorianische Choral war, den man im Durchschnitt erst nach 12 Jahren beherrscht, daher kamen die armen Mönche gar nicht zu beten, weil sie singen mussten. Sollten Sie in ihrem Chor jedes Jahr ein neues Händel-Anthem singen, dann beten Sie auch nicht, sondern sind froh überhaupt die Noten zu treffen und Ihren Einsatz nicht zu verpassen.
DSDZ wird bald lernen müssen den gregorianischen Choral in gregorianischer Notenschrift vom Blatt singen zu können. Derzeit orientiert er sich einigermaßen, aber es vom Blatt singen, wie bei der klassischen Notation, das kann er noch nicht. Er las irgendwo, dass durchschnittlich ein Mönch 12 Jahre braucht, um den Choral zu lernen, wenn er ihn täglich singt. DSDZ wird es innerhalb einiger Monate schaffen müssen, da er über einige Vorbildung verfügt. 12 Jahre ist natürlich eine lange Zeit, aber nicht so ungewöhnlich, da ein Gesangsstudium 6 Jahre dauert. Man muss all die Choräle einfach oft genug einsingen, um sie beliebig abrufen zu können. Denn Singen ist wie eine Choreographie. Was man einmal richtig einstudiert hat, das kann man auch nachher, auch wenn mehrere Jahre vergangen sind, wieder ausführen. Wenn also ein einfacher Mönch, der nicht einmal der Schola des Ordens angehört, 12 Jahre braucht, um richtig singen zu können, dann bedeutet dies doch, dass der gregorianische Choral, dessen Ausführung Pius XII. den Gläubigen aufbürdet, schwierig zu singen ist. Ja, das ist er auch und deswegen sollen ihn qualifizierte Sänger ausführen, damit sich die Gläubigen in den Kirchenbänken zurücklehnen und genießen können. Wie in der Oper.
DSDZ hatte während seiner Chor-Zeit zu den vielen Auftritten immer einen schwarzen Anzug getragen, mit dem er ab und zu auch in die Oper ging. Als er den Anzug sah, so dachte er, getriggert, automatisch an den kommenden Auftritt. In der Oper aber dachte er sich: „Jetzt muss ich selbst nicht auftreten. Ich lasse es die anderen machen.“ Er wusste nämlich, was sie alles durchgemacht haben und beim Auftritt selbst durchmachen werden.
Wenn man selbst Choral singt, sei es auch nur das Kyriale, das sich ja auch abwechselt, dann ist man doch niemals voll auf die Liturgie, sondern auf die Ausführung des Gesangs konzentriert. Die Andacht fällt entweder ganz weg oder sie wird sehr gemindert. Deswegen sind so viele Organisten oder Sänger der geistlichen Musik dermaßen säkularisiert, weil sie sich ständig auf die technische Seite der Ausführung konzentrieren müssen. Sie müssen schon wirklich lange etwas singen oder spielen, damit Sie loslassen können, der „Flow“ kommt und Sie gleichsam in eine Trance geraten, wo Sie nur singen. Bei der Liturgie spielt es aber keine Rolle, dass man singt, dass man glaubt und was man glaubt (Credo). Der Priester betet es ja ohnehin und der Organist singt es, meistens besser als jeder Gläubige. Ihr Gesang macht den Kohl also auch nicht fett und ändert nichts. Ist jemand bei einer Messe, wo alles Singen die Schola übernimmt, dann schwebt man gleichsam auf einem Gebetsteppich, der aus Kyriale und Proprium besteht, zu dem man nichts beisteuern muss. Wie schön!
Warum sollen nur Kleriker singen?
Weil es heilige Texte sind. Man gibt doch immer im Gesang sein Innerstes preis, indem man seine eigene Innerlichkeit oder Emotionen durch das Gesangsstück ausdrückt. Beim Choral muss man einfach heilig und kontemplativ sein, um diese heiligen und kontemplativen Inhalte vermitteln zu können. Wie die gelesenen Texte während der Liturgie uns geistlich berühren, weil der Priester als alter Christus, an Christi statt sie ausspricht, so berühren uns die Choralgesänge, wenn sie von Gott geweihten Klerikern dargebracht werden, die theoretisch im Gnadenstand leben und ein geistliches Leben führen sollten.

Ja, die DSDS-Zuschauer wissen es. Erst dann, wenn die Kandidaten sich mit den gesungenen Texten emotional identifizieren können, können sie durch diese Emotionen andere berühren. Sie können es dann, wenn sie diese Emotionen in sich selbst tragen. Beim Choral ist es genauso. Man muss die geistlichen Inhalte leben und verstehen, um sie gesanglich vermitteln zu können. Oder welche emotionale Verbindung haben Sie schon zum gestrigen Introitus?
Jubelt Gott ihr Lande all, alleluja, singet Psalmen Seinem Namen, alleluja; herrlich laßt Sein Lob erschallen, alleluja, alleluja, alleluja.
Saget zu Gott: Wie gewaltig sind Deine Werke, o Herr! Ob der Fülle Deiner Macht huldigen selbst Deine Feinde Dir.
V. Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geiste;
R. wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.
Jubelt Gott ihr Lande all, alleluja, singet Psalmen Seinem Namen, alleluja; herrlich laßt Sein Lob erschallen, alleluja, alleluja, alleluja.
Muss man denn unbedingt eine emotionale Bindung dazu haben?
Ja, natürlich, sonst können sie es nicht vermitteln. Außerdem spiegelt die Stimme alle unsere Regungen und Erlebnisse wider. Jemand, der Sex hatte hat eine andere Stimme als jemand, der keusch lebt. Das ist in Sängerkreisen, wo die Keuschheit nicht gerade vorherrscht, bekannt, dass zu viel Unzucht der Stimme schadet. Wenn also der gregorianische Choral für keusch lebende, geistliches Leben führende Kleriker geschrieben wurde, dann muss er von ebensolchen vorgetragen werden, um richtig zu klingen.
Und wo findet man diese?
Gute Frage, in Fontgombault zum Beispiel. Der Choral wurde immer von Klerikern oder wenigstens Männern gesungen, weil es ein Teil der Liturgie ist, die von Klerikern vollzogen wird. Um aber Gott in der Liturgie durchscheinen zu lassen, muss man als Gefäß rein sein.
Wenn das so ist, warum hat denn Pius XII. den Choral an die Laien outgesourct?
Gute Frage. Wahrscheinlich deswegen, weil schon damals unsere lieben Geistlichen weltlich leben und Sex haben wollten und Angst hatten, dass man es ihnen ansieht…sorry … anhört. Außerdem ist es so, dass je sündiger Sie sind, desto mehr Überwindung brauchen Sie, um überhaupt geistliche Inhalte singen zu können. Sie fühlen sich durch sie gereizt, ermüdet, provoziert etc., was viele Reaktionen von Sängern erklärt, die gerade eine Bach-Kantate oder Johannes-Passion gesungen haben. Jeder, der im Chor sang, kennt die Angewohnheit der Sänger insbesondere lateinische Texte umzuändern und zu verlachen. So wird z.B. aus „In flagellis potum felis“ [unter den Geißeln des Gallegetränks] – in flagranti etc.
Einerseits ist es Zeitvertreib, weil man diese Texte so oft singt, dass man sie sich schmackhafter machen möchte, andererseits ist es fehlende Bildung, weil man kein Latein kennt, schließlich aber ist es Blasphemie, weil jeder weiß, wovon dieser Text, den er singt, eigentlich handelt. Fromme Menschen machen solche Späße nicht, Unfromme schon. Beim weltlichen Repertoir kommt solche Verballhornung nicht vor, was interessant ist. Leider gehört Blasphemie in den meisten Klerikerkreisen dort zum guten Ton, wo die Kleriker dem Heiligen nicht gerecht werden können. Daher sollen andere das singen, was sie nicht singen wollen oder können. Ja, so einfach ist es.
PS.
Lesen Sie bitte auch diesen evangelischen Beitrag, der der Umkehrschluss dasselbe sagt, was Carol Byrne und wir meinen. “Im Protestantismus hat der Gemeindegesang auch eine theologische Dimension: Er steht für das Priestertum aller Gläubigen.
[…] Wenn man im Gottesdienst nicht singen kann, fühlt man sich beinahe wie amputiert. Etwas Wesentliches fehlt. „Ich vermisse die Freude, die beim Singen entsteht und die Gemeinschaft mit den anderen“, klagt eine Gottesdienstteilnehmerin.
Das Singen spielt daher für Evangelische eine besondere Rolle, garantiert es doch die Mitwirkung aller am Gottesdienst. Anders als in den Messen zu Luthers Zeit, die in lateinischer Sprache abgehalten wurden und wo der Gesang Priestern und Chören vorbehalten war, förderte der Reformator den Gemeindegesang. […]
Wie wichtig das gemeinsame Singen im Protestantismus ist, wird vielen jetzt, wo Gottesdienste ohne das „gesungene Priestertum aller Getauften“ auskommen müssen, erst so richtig deutlich.
Und genauso ist es. Die Protestantisierung des Katholizismus fing mit dem Gemeindegesang an.

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